Die Presse, wie die Frau, ist wunderbar und erhaben, wenn sie eine Lüge vorbringt. Sie lässt nicht locker, bis Sie ihr glauben, und sie verwendet die größten Talente auf diesen Kampf, in dem das Publikum, so dämlich wie ein Ehegatte, immer unterlegen ist. Wenn es die Presse nicht gäbe, dürfte man sie nicht erfinden.1
Honoré de Balzac – ein wahrer Meister der Polemik – wetzt in dieser kleinen Typologie der Pariser Presse seinen Schnabel an den schrägen Typen der Journaille und schimpft dabei wie ein Rohrspatz. Verschießt er dabei aber nicht etwas zu viel Pulver?
Edelfedern, Phrasendrescher und Schmierfinken
Im Jahre 1977 erwarb der Herausgeber und Übersetzer Rudolf von Bitter die Monographie de la presse parisienne in einem Ramschverkauf. Vierzig Jahre später liegt dieses Pamphlet nun in Übersetzung vor. Der Hauptteil dieser Ausgabe stellt ebendiese Übersetzung der Typologie dar. Daneben enthält das Buch zudem Balzacs Plädoyer zur Einführung eines Urheberrechtes, weitere Schriften und von Bitters notwendiges Nachwort zur politischen und literarischen Situation seit der Französischen Revolution.
Honoré de Balzac
Der französische Schriftsteller Honoré de Balzac ist kein unbekannter Name. Aber so wirklich wahr nimmt man ihn nicht (mehr), obwohl er einiges für die Literatur – und speziell für die europäische Literatur – geleistet hat.
Sein Vater (eigentlich Bernard-François Balssa) wurde ein wohlhabender Beamter in Paris und tauschte den proletarischen Namen gegen den vornehmer klingenden Namen Balzac ein und fügte noch den Adelspartikel de hinzu, nachdem sein Sohn, Honoré, am 20.5.1799 in Tours das Licht der Welt erblickte. Honoré de Balzac sollte eigentlich auch in den Staatsdienst treten, erbettelte sich aber nach der Schule Zeit, um sich als Schriftsteller zu etablieren. Sollte er scheitern, würde er den Weg einschlagen, den sein Vater für ihn vorgesehen hatte.
In Paris schrieb er unter Pseudonymen etliche Schundromane, deren Urheberschaft er später abstritt. Neben dieser miserablen Massenware schrieb er auf Honorarbasis für Zeitungen auch Kritiken, Feuilletons, politische Pamphlete und vieles andere. Sein Schreibwahn verhalf ihn aber lange nicht zum literarischen Erfolg oder gar zur finanziellen Unabhängigkeit. Seinen ersten Erfolg erzielte er 1829 mit Les Chouans, den er unter seinem richtigen Namen veröffentlichte. Seine wankelmütige Persönlichkeit stand ihm jedoch zeitlebens im Wege.
Von den unsteten politischen Verhältnissen geprägt, wollte er auch selbst Politiker werden, kehrte jedoch immer wieder zur Schreiberei zurück. Sein Drang, schnell zu viel Geld zu kommen, führte nicht etwa zu einem Arbeitselan – vielmehr spielte er mit dem Gedanken, reich einzuheiraten. Dies sollte allerdings bis kurz vor seinem Tode dauern. Bis dahin machte er immer neue Schulden.
Er will reich und berühmt werden. Er ist selbst der Emporkömmling, den er als bedeutendsten Charaktertyp der Gesellschaft erkennt und schließlich zur Hauptfigur seiner fiktiven Welt macht. 2
La Comédie humaine
Sein eigentliches literarisches Lebenswerk – La Comédie humaine (die menschliche Komödie) – umfasst »etwa 90 Romane mit etwa 300 Figuren«3. Seine Figuren entstammen der französischen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts, einer Gesellschaft, die von der Französischen Revolution, des napoleonischen Imperiums, der Restauration und der Julirevolution geprägt und geformt ist. Balzacs Ziel war es, einzelne Menschen als Produkte sozialer Kräfte darzustellen, die sich auf ihnen auswirken.
Form und Inhalt der »menschlichen Komödie« werden den Symbolismus und den Naturalismus prägen und für jeden erzählerischen Versuch, die Gesellschaft zu erfassen, neue Maßstäbe setzen. 4
Eine kurze reiche Ehe
Im Jahre 1832 begann eine langjährige Briefkorrespondenz zwischen ihm und l’Étrangère (der Fremden), der polnischen Gräfin Ewelina Hańska, die seine spätere Ehefrau werden sollte. Zu Beginn dieser jahrelangen Korrespondenz war die Gräfin noch verheiratet. Sie trafen sich einige Male in Neuchâtel (Neuenburg), Genf und Wien. 1941 verstarb ihr Ehemann, der Graf Wacław Hański, und sie wurde zu einer reichen Witwe. Balzacs Wunschvorstellung, reich einzuheiraten, war zum Greifen nah. Jedoch hielt sie ihn noch bis 1950 hin. 1948 reiste Balzac auf den Landsitz seiner Geliebten. Als schwer kranker Mann verbrachte er dort eine seiner literarisch fruchtlosesten Zeiten. Im März 1850 heiratete er die Gräfin Hańska und verstarb wenig später, am 18. August 1850, nach einer mehrwöchigen und anstrengenden Rückreise, in Paris.
Nur einige Schritte von jener Stelle entfernt, an der Rastignac am Ende von Le père Goriot seine Herausforderung an Paris »Jetzt zu uns beiden!« gerufen hatte, wird B. am 21. März auf dem Friedhof von Père-Lachaise beigesetzt. Der Sarg wird von Hugo, Sainte-Beuve, Alexandre Dumas père und dem damaligen Innenminister getragen, und am Grab hält Hugo eine berühmt gewordene Rede, in der er B. zum »revolutionären Dichter« erklärt. Am Tag darauf stürmen die Gläubiger B.s Haus.5
Typologie der Journaille
Nun versucht Balzac auf knapp 150 Seiten dieser Ausgabe die Typen der Journaille – gemäß der binären Nomenklatur von Carl von Linné – aufzulisten, zu kategorisieren und zu beschreiben. Dabei erläutert er nicht nur die verschiedenen Charaktere der Presse, sondern auch die Aufmachungen der Zeitungen seiner Zeit. Doch auch die Abonnenten bekommen ihr Fett weg – schließlich sind sie es, von denen die Zeitungen leben.6 Balzac nimmt in seiner Typologie jeden einzelnen auseinander. In manischer Sorgfalt versucht er dabei jeden in Klasse, Ordnung, Gattung und Art einzuordnen. Bei alledem ist die Klasse stets der Schriftsteller, die Ordnungen sind der Publizist oder der Kritiker, die sich dann in verschiedene Gattungen und Arten unterteilen. So findet sich beispielsweise in der Klasse der Schriftsteller, in der Ordnung des Publizisten die Gattung des Nihilogen, die wiederum keine Arten besitzt:
Frankreich hat den größten Respekt vor allem, was langweilt. Darum gelangt der Vulgarisator im Nu zu einer Position: Vermöge der Langeweile, die er verbreitet, gilt er auf Anhieb als wichtiger Mann. Das hat weithin Schule gemacht. Der Vulgarisator dehnt den Gedanken eines Gedankens zu einem Bündel von Binsenwahrheiten und zerrupft dieses furchterregende philosophisch-literarische Sammelsurium mechanisch zu Fortsetzungen. Die Seite sieht vollgeschrieben aus und scheint Gedanken zu enthalten, doch der Kundige, der seine Nase daranhält, wittert den Duft leerer Keller. Es hat Tiefe und enthält nichts: Die Intelligenz erlischt darin wie eine Kerze im stickigen Schacht. 7
Auf diese Art verfährt er mit allen Personen, die die Presse zu bieten hat, sodass er auf insgesamt 2 Ordnungen, 13 Gattungen und 25 Arten der Journaille kommt.
Beleidigungen in einem Käseblatt
Indes war Balzac kein Wissenschaftler oder Psychologe. Er verfügte aber über eine gute Beobachtungsgabe. Schließlich gilt seine Comédie humaine als ein äußerst gelungenes literarisches Abbild der französischen Gesellschaft seiner Zeit. Aber: Ein Literat, der Opfer vernichtender Kritiken war, versucht sich an einer Beschreibung und Klassifizierung seiner Kritiker. Dass man das nicht als neutral, vor allem aber als unwissenschaftlich, einzustufen hat, liegt auf der Hand. Man sollte sich daher hüten, diese Typologie als der Wahrheit letzter Schluss zu sehen. Die Bezeichnungen Fake News oder Lügenpresse, die sich heute im gesellschaftlichen Sprachschatz herumtummeln, eins zu eins in Balzacs Pamphlet hineinzudichten, ist dann doch zu einfach. Balzac beschreibt nicht objektiv – er bleibt ein gekränkter Autor.
Entgegnung von Jules Janin
Umso wichtiger ist die Entgegnung eines seiner wohl größten Kritiker, die von Bitter dankenswerterweise dieser Herausgabe beigefügt hat. Jules Janin (1804–1874) – seinerzeit Schriftsteller und Literaturkritiker – konterte wenige Tage nach Veröffentlichung der Monographie de la presse parisienne mit einer gnadenlos vernichtenden, polemischen Antwort. Dabei beschuldigt er Balzac gewissermaßen der Heuchelei, schließlich gehörte er ja selbst diesen schrägen Typen an:
Dieser Mann, dem wir immer wieder so viel Verstand zugebilligt haben, lebt von der Zeitung und sogar von einer Masse Zeitungen; er hat noch nie ohne die Zeitung gelebt […]. Und jetzt kommt dieser Journalist daher, der unfähigste, ungeschickteste, der die Journalisten am meisten anschwärzt, und überzieht diejenigen, deren Kollege zu sein er nicht das Zeug hat, mit seinen Beschimpfungen […].8
Zu welcher Gattung und Art Balzac wohl selbst zählte? Sein Kritiker Janin formuliert es natürlich überspitzt:
[…] er war der geschäftsführende Chefredakteur-Eigentümer-Direktor, das Tenor-Faktotum-Kämmerling-Aufmacherschreiber-Leitartikel-Faktotum, der Entenverkäufer-Kämmerling-Parteigänger-überparteiischer-Parteigänger und Überparteigänger, Broschürenpamphlet-Übersetzer, blonder Kritiker-Scharfgerichts-Lobhudler, mondäner Witzbold-Akademiker, Schönschreib-Mann fürs Grobe, Spötter, Zeilenangler […].9
Plädoyer für ein Urheberrecht
Viel wichtiger an diesem Buch scheint mir hingegen Balzacs Plädoyer für ein Urheberrecht zu sein. Kraftvoll und wortgewaltig wandte er sich in einem Brief an die französischen Schriftsteller des 19. Jahrhunderts. Darin beklagt er nicht nur die üble (finanzielle) Lage der Schriftsteller, sondern auch den unwürdigen Umgang mit Literatur. Die kreative Schaffenskraft – damals wie heute – wurde kaum als solche gewürdigt. Das geistige Eigentum wurde immer wieder verletzt:
Die Intelligenz ist eine höhere Dame, als der Comte de Tours groß war, denken Sie daran! Das Denken kommt von Gott, es kehrt dorthin zurück; es steht höher als die Könige; es macht sie und es schafft sie ab. Die Académie, die einzige Institution der Literatur, ist unfähig, unsere Sache zu vertreten; sie kann nur reden, sie darf nur über Worte bestimmen. Das bringt uns dazu, Sie darauf hinzuweisen, dass wir uns niemals auf die Parlamente noch auf die Académie verlassen dürfen. 10
Dieses äußerst lesenswerte Plädoyer fand nicht unter allen Schriftstellerkollegen seine Zustimmung. Und doch »basiert auf Balzacs Forderungen jenes Urheberrechtsgesetz, das von Napoleon III. 1854 in Kraft gesetzt wurde«11, und es war Balzac, der 1840 den Code littéraire verfasste, der dann 1862 Grundlage eines entsprechenden Gesetzes wurde.12
Rotzig, unsachlich, ergötzlich
Ich mag Polemik. Sogar sehr. Und als solche ist Von Edelfedern, Phrasendreschern und Schmierfinken auch zu lesen. Ein Kritiker kritisiert seine Kritiker. Er ist rotzig, er ist unsachlich, aber dabei äußerst ergötzlich. Dass Balzac sich die Schriftsteller aussuchte, liegt wohl daran, dass er kein anderes Feld so genau kannte. Und auch er wird einer oder mehrerer seiner beschriebenen Gattungen und Arten angehört haben. Dabei kommt mir ein arabisches Gedicht13 in den Sinn, das genau diese nur allzu menschliche Eigenschaft beschreibt. Wir klagen über die anderen, über die Welt, über die Zeit und vergessen (bewusst) dabei, dass wir auch einen Anteil daran haben:
نَعيبُ زمانَنا والعيبُ فينا ❊ وما لِزمانِنا عيبٌ سِوانا
ونَهجو ذا الزَّمانَ بغيرِ ذَنبٍ ❊ ولو نَطَقَ الزَّمانُ لنا هَجَانا
وليسَ الذِّئبُ يأكُلُ لحمَ ذِئبٍ ❊ ويأكُلُ بعضُنا بعضاً عِيانا
Wir tadeln unsere Zeit, doch der Fehler liegt in uns
Dabei hat die Zeit gar keinen Makel außer uns
Wir schmähen die Zeit, ohne dass sie schuldig wär’
Könnt’ die Zeit zu uns sprechen, schmähte sie uns
Der Wolf verzehrt eines anderen Wolfes Fleische nicht
Doch vor aller Augen vertilgen einander wir uns14
Hätte er es doch nur gekannt! Nichtsdestotrotz glänzt er auch innerhalb seines polemischen Vernichtungsschlages und beweist, dass er sein literarisches Handwerk beherrscht. Seine erfundenen Beispieltexte zu den schrägen Typen der Journaille sind nicht nur gelungen, sondern zeigen vielmehr, dass er zu den Edelfedern, Phrasendreschern und Schmierfinken gehört.
Informationen zum Buch und Verlag
Verlag: Manesse Verlag
Gebundene Ausgabe, 320 Seiten (September 2016), 15,99 €
ISBN-10: 3–7175-2382–6
ISBN-13: 978‑7175-2382–6
Das Buch wurde mir freundlicherweise vom Bloggerportal und dem Manesse Verlag zur Verfügung gestellt. Vielen Dank!
- de Balzac, Honoré: Von Edelfedern, Phrasendreschern und Schmierfinken. Die schrägen Typen der Journaille. / von Bitter, Rudolf (Hrsg., Übers.). Zürich: Manesse Verlag 2016, S. 151. ↵
- Sabin, Stefana: Balzac, Honoré de. In: Ruckaberle, Axel (Hrsg.): Metzler Lexikon Weltliteratur. 1000 Autoren von der Antike bis zur Gegenwart. Band 1. Stuttgart, Weimar: Metzler 2006, S. 108. ↵
- Ibid., S. 109. ↵
- Ibid., l. c. ↵
- Ibid., S. 110. ↵
- An dieser Stelle sei die Leseprobe des Verlages ans Herz gelegt. ↵
- de Balzac 2016, S. 66. ↵
- Ibid., S. 203f. ↵
- Ibid., l. c. ↵
- Ibid., S. 161f. ↵
- Ibid., S. 241f. ↵
- Ibid., S. 242. ↵
- Die Verse werden dem muslimischen Rechtsgelehrten asch-Schâfiî zugeschrieben. Allerdings gibt es auch Zuschreibungen zu anderen Dichtern. ↵
- Übersetzt aus: al-Muṣṭāwī, ʿAbd ar-Raḥmān (Hrsg.): Dīwān al-Imām aš-Šāfiʿī. Beirut: Dār al-Maʿrifa 2005, S. 112. ↵