Bon­sels, Wal­de­mar: Die Bie­ne Maja und ihre Abenteuer

Vie­le wer­den wohl die bezau­bern­de Trick­film­se­rie der Bie­ne Maja aus den 70ern ken­nen, der Karel Gott sei­ne mar­kan­te Stim­me für die Titel­me­lo­die ver­lie­hen hat. Die­se klei­ne, quir­li­ge Bie­ne, die zusam­men mit dem Gras­hüp­fer Flip und der Droh­ne Wil­li aller­lei Aben­teu­er auf der Klatsch­mohn­wie­se erlebt. Doch nicht alle wis­sen, dass die Vor­la­ge ein Buch war. Wal­de­mar Bon­sels (1880–1952) schuf mit Die Bie­ne Maja und ihre Aben­teu­er 1912 eine Geschich­te, die in über 40 Spra­chen über­setzt wur­de und zu Welt­ruhm gelangte.

Die Bie­ne Maja und ihre Abenteuer

Cover, Deut­sche Verlags-Anstalt

Die klei­ne Honig­bie­ne Maja kommt in der Bie­nen­stadt im Schloss­park zur Welt und wird gleich von ihrer Leh­re­rin Kas­san­dra in Emp­fang genom­men. Im Bie­nen­stock herrscht ein Gedrän­ge und Geschie­be, denn es gab eine Revo­lu­ti­on. Bereits jetzt zeigt sich Maja von ihrer wiss­be­gie­ri­gen und sehr unge­dul­di­gen Sei­te, was Kas­san­dra recht arg­wöh­nisch beäugt. Sie müs­se noch viel lernen.

Nach ihrem ers­ten Flug ver­lässt Maja jedoch die Bie­nen­stadt im Schloss­park. Die Welt dort drau­ßen ist so viel schö­ner. Das Flie­gen, die Natur mit ihren Blu­men, die Luft und die Son­ne haben es ihr ange­tan. Sie ver­spürt den Drang nach Erleb­nis­sen und Aben­teu­ern und will nicht nur Honig tra­gen oder Wachs bereiten.

Auf ihrem Aus­flug begeg­nen ihr aller­lei Gestal­ten der Tier­welt: der Rosen­kä­fer Pep­pi, der Käfer Hans Chris­toph und die Libel­le Schnuck, die Gril­le Iffi und der Mist­kä­fer Kurt, ein Gras­hüp­fer, die Stu­ben­flie­ge Puck, die Kreuz­spin­ne Thek­la und vie­ler­lei gro­ßes und klei­nes Getier. Dabei zeigt sich die Natur nicht immer von ihrer gut­her­zi­gen Sei­te. Maja muss ler­nen, dass über­all auch Gefah­ren lau­ern können.

Ihr größ­ter Wunsch ist es jedoch, einem Men­schen zu begeg­nen. Von Kas­san­dra hat sie gelernt, dass die Men­schen gut und dem Volk der Bie­nen wohl­ge­sinnt sei­en. Wohin sie auch kämen, bräch­ten sie Ord­nung und Wohl­stand. Die Bie­nen ver­trau­ten auf den Men­schen und sei­nen Schutz und teil­ten mit ihm ihren Honig. Maja glaubt ihrer Leh­re­rin und will die­ses wun­der­ba­re Wesen Mensch mit eige­nen Augen sehen. Unter­wegs hört sie von ande­ren Tie­ren gegen­tei­li­ge Geschich­ten. Doch sie hält an Kas­san­dras Leh­ren fest. Ein Blu­men­elf soll Majas größ­ten Wunsch schließ­lich erfüllen.

Aber danach wird Maja leicht­sin­nig. Hor­nis­sen neh­men sie gefan­gen. In Gefan­gen­schaft kann sie die Hor­nis­sen belau­schen, wie sie einen Angriff auf den Bie­nen­stock pla­nen. Maja beschließt, ihr Volk zu war­nen. In der Nacht wagt sie ihr küh­nes Unter­fan­gen und muss sich am Wäch­ter vor­bei­schlei­chen. Ihr gelingt die Flucht und so kann sie ihre Köni­gin war­nen, die sogleich ihr Bie­nen­heer rüs­tet und sich zum Kampf berei­tet. Maja soll sich dann aus­ru­hen und wird in einen ande­ren Bereich des Bie­nen­stocks geführt, wo sie auch bei­na­he die gesam­te Schlacht ver­schläft. Doch eins ist sicher: Sie hat ihr Volk gerettet.

Ent­de­ckungs­drang

Eine Eigen­schaft, die Maja das gan­ze Buch hin­durch cha­rak­te­ri­siert, ist ihr Ent­de­ckungs­drang. Ihre Neu­gier ist schier unend­lich. Als noch jun­ge und ahnungs­lo­se Bie­ne hin­ter­fragt sie alles. Das fällt ihrer Leh­re­rin Kas­san­dra nega­tiv auf und sie ist besorgt über Majas Zukunft.

Und doch ist ihre Neu­gier eine wun­der­schö­ne Eigen­schaft. Sie kann sich für die klei­nen Din­ge begeis­tern; für die Flü­gel der Libel­le Schnuck oder eines Schmet­ter­lings, für das Son­nen­licht, das sich auf der Ober­flä­che des Sees wider­spie­gelt, selbst für die edle Hal­tung und Anmut des Hornissenwächters.

Kas­san­dra soll aber recht behal­ten. Majas Neu­gier führt zu Leicht­sinn. Sie unter­schätzt die Gefah­ren. Dadurch lan­det sie auch im Netz der Kreuz­spin­ne Thek­la, die, ob Majas nai­ver Gut­gläu­big­keit, sie irre­führt und sogar noch ein­spinnt. Wäre der Mist­kä­fer Kurt nicht gewe­sen, dem sie zuvor aus einer miss­li­chen Lage gehol­fen hat, wäre es mit ihr wohl aus gewe­sen. Kurt hilft ihr aus dem Netz der Spin­ne und sie kommt wie­der frei.

Und es ist auch ihr Leicht­sinn, der sie in die Gefan­gen­schaft der Hor­nis­sen bringt. Majas schein­ba­re Auf­ga­be in die­sem Buch ist es, zu ler­nen, dass die Natur dort drau­ßen auch hart ist. Um zu (über-)leben, muss sie auf der Hut sein und kann sich nicht nur auf ihre Freund­lich­keit verlassen.

Gemein­schaft

Ein doch recht zen­tra­les The­ma in Die Bie­ne Maja und ihre Aben­teu­er ist die Gemein­schaft. Die­ses The­ma lässt sich von zwei­er­lei Sei­ten betrach­ten; zum einen die Gemein­schaft der Bie­nen und zum ande­ren die Gemein­schaft mit der Umwelt.

Die Gemein­schaft der Bie­nen ist ein Motiv, das ich zu einem spä­te­ren Zeit­punkt noch ein­mal auf­grei­fen wer­de. Ganz äußer­lich betrach­tet, ver­lässt Maja ihre Grup­pe und zieht ohne ihren Schutz, allein und auf sich gestellt, in die wei­te Welt. Und den­noch ist die­se Gemein­schaft omni­prä­sent – sei es durch Erin­ne­run­gen an Rat­schlä­ge oder Din­ge, die Maja gelernt hat, sei es durch ein Gefühl von Heim­weh, das sie zunächst beschleicht und im Ver­lauf doch immer stär­ker wird, sei es durch die immer­wäh­ren­de Zunei­gung ihrer Köni­gin gegen­über oder sei es durch ihre nie enden­de Loya­li­tät ihrem Volk gegen­über, die in ihrer Opfer­be­reit­schaft ihre Voll­endung findet.

Eine wei­te­re (viel­leicht auch unbe­ab­sich­tig­te) Form der Gemein­schaft ist die mit der Umwelt. Maja ist auf ihre Umwelt ange­wie­sen. Sie begeg­net daher jedem Wesen auf­rich­tig und auf­ge­schlos­sen und ach­tet nicht auf die Art die­ses Wesens. Sie schließt Freund­schaft mit dem Käfer Hans Chris­toph, der dann auch noch vor ihren Augen von der Libel­le Schnuck ver­speist wird. Es ist ihre ers­te Lek­ti­on, dass es in der Natur ums Fres­sen und Gefres­sen­wer­den geht. Auch mit dem Mist­kä­fer Kurt schließt sie eine Art Freund­schaft. Sie hilft ihm aus einer miss­li­chen Lage. Und es soll Kurt sein, der sie dann spä­ter aus den Fän­gen der Spin­ne befreit. In ihrer eige­nen Ent­wick­lung, in ihrer eige­nen Rei­fe muss sie zwar ab und an ihren Sta­chel zei­gen, um sich zu behaup­ten. Aber Maja kennt kei­nen Frem­den­hass. Und auch wenn sie nicht immer alles ver­steht und dadurch lachen muss, steht sie der Welt auf­ge­schlos­sen gegenüber.

Der Mensch

Eine Figur, die nicht wirk­lich in die Geschich­te passt, ist der Mensch. Den­noch gehört er in die Lebens­wirk­lich­keit der Tie­re dazu. Aller­dings erhält der Mensch meist kein Gesicht. Er ist nicht indi­vi­du­ell, son­dern steht viel­mehr für die Gesamt­heit der Men­schen – oder bes­ser: Er steht als Abs­trak­tum für Mensch­lich­keit und Unmenschlichkeit.

Alle Tie­re wis­sen der Maja die schau­rigs­ten Geschich­ten über den Men­schen zu berich­ten. Er ver­ur­sacht furcht­bars­te Qua­len die zum Tode führen:

»Nein, nein«, sag­te Schnuck beru­hi­gend, »das gera­de nicht. Soviel bekannt ist, nährt sich der Mensch nicht von Libel­len. Aber im Men­schen leben zuwei­len Mord­ge­lüs­te, die wohl ewig unauf­ge­klärt blei­ben. Es mag Ihnen unglaub­lich erschei­nen, aber in der Tat sind Fäl­le vor­ge­kom­men, in denen soge­nann­te Kna­ben­men­schen Libel­len gefan­gen haben und ihnen aus purem Ver­gnü­gen die Flü­gel oder die Bei­ne aus­ge­ris­sen haben. Sie zwei­feln?«1

Die Stu­ben­flie­ge Puck beschreibt den Men­schen als ein­fäl­tig. Puck erzählt Maja, wie er den Men­schen ärgert, um ihn her­um­fliegt und sich einen Spaß dar­aus macht, wie der Mensch ver­geb­lich ver­sucht, ihn zu fan­gen. Der Weber­knecht Han­ni­bal berich­tet von der Unacht­sam­keit des Men­schen, wes­halb er nur noch sie­ben anstatt acht Bei­ne hat. Aber Maja hält dar­an fest, was ihr Kas­san­dra bei­gebracht hat:

»Die Men­schen sind gut und wei­se«, hat­te sie ihr gesagt. »Sie sind sehr stark und mäch­tig, aber sie miß­brauchen ihre Kräf­te nicht, son­dern über­all, wo sie hin­kom­men, ent­steht Ord­nung und Wohl­stand. Sie sind dem Volk der Bie­nen wohl­ge­sinnt, dar­um ver­trau­en wir Bie­nen uns ihrem Schutz an und tei­len unse­ren Honig mit ihnen. Sie las­sen uns genug für den Win­ter und sor­gen dafür, daß der Frost und die gro­ße Schar der Fein­de, die wir unter den Tie­ren haben, uns nicht stö­ren oder ver­nich­ten. Es gibt wenig freie Tie­re in der Welt, die solch ein Ver­hält­nis von Freund­schaft und frei­wil­li­ger Dienst­bar­keit mit den Men­schen ein­ge­gan­gen sind. Du wirst immer wie­der unter den Insek­ten Stim­men hören, die dem Men­schen Böses nach­sa­gen. Höre nicht auf sie. […]« So hat­te ihr Kas­san­dra damals erzählt, und solan­ge sich Maja nicht vom Gegen­teil über­zeugt hat­te, woll­te sie an die Wahr­heit die­ser Wor­te glau­ben.2

Wenn sie ein­an­der liebhaben

Der Höhe­punkt des Buches ist Majas Begeg­nung mit einem Blu­men­elf, der ihr ihren sehn­lichs­ten Wunsch erfüllt. Die­se Pas­sa­gen muten sehr mys­tisch an und wir­ken bei­na­he wie ein über­sinn­li­ches Erwachen.

Es sind gar hüb­sche Beschrei­bun­gen einer Nacht­sze­ne, wor­in ein Blu­men­elf gebo­ren wird. Die Dar­stel­lung des Elfen neigt dazu, roman­tisch-ver­klärt, bei­na­he kit­schig zu sein: Flü­gel hel­ler als der Mond, engels­gleich, blon­des Haar, ein Lied sin­gend, das in die Nacht hin­aus­klingt. Aber Elfen haben ein beson­de­res Schicksal:

Wir Elfen leben sie­ben Näch­te, aber wir müs­sen in der Blu­me blei­ben, in der wir gebo­ren sind. Wenn wir die Blu­me ver­las­sen, so müs­sen wir im Mor­gen­rot sterben.«
Maja riß vor Angst und Schre­cken die Augen weit auf. »O rasch, rasch, flieg in dei­ne Blu­me zurück!« rief sie.
Der Elf schüt­tel­te trau­rig den Kopf.
»Nun ist es zu spät,« sag­te er, »aber höre wei­ter. Die meis­ten Elfen ver­las­sen ihre Blu­men, denn es ver­bin­det sich ein gro­ßes Glück damit. Wer sei­ne Blu­me ver­läßt und so einen frü­hen Tod erlei­det, der hat zuvor eine wun­der­ba­re Macht. Er kann dem ers­ten Wesen, das ihm begeg­net, sei­nen liebs­ten Wunsch erfül­len. Wenn er ernst­lich den Wil­len hat, die Blu­me zu ver­las­sen, um ande­re zu beglü­cken, so wach­sen ihm zugleich sei­ne Flü­gel.3«

Es ist jedoch ein lieb­li­ches Los, denn Elfen wer­den wie­der­ge­bo­ren. Sie kön­nen sich nur nicht mehr dar­an erin­nern. Maja kann es indes nicht glau­ben, dass sie das ers­te Wesen ist, dem der Elf begeg­net. Sie darf sich also etwas wünschen.

Auch die Beschrei­bung der Elfen­fahrt ist sehr zau­ber­haft. Sie zeigt eine gar fried­li­che Welt, wor­in die Tie­re der Nacht ein­an­der hel­fen. Und letzt­lich darf Maja den Men­schen sehen. Sie wird Zeu­gin eines ganz beson­de­ren Schau­spiels: Ein Lie­bes­paar sitzt im Mond­schat­ten auf einer Bank. Eine Frau hat ihren Kopf auf die Schul­ter eines Man­nes gelegt. Sein Arm hält sie fest. Es herrscht eine ruhi­ge Atmo­sphä­re, die vom Zir­pen der Gril­len und fei­nem, fast unwirk­li­chem Mond­licht unter­malt wird. Dann sagt sie ihm etwas. Er lächelt.

Es ver­lang­te Maja nicht danach zu wis­sen, was er dem Mäd­chen ant­wor­te­te. Ihr Herz zit­ter­te, als sei die Selig­keit, die von den Men­schen unter ihr aus­ging, auch ihr Eigen­tum. »Nun habe ich das Herr­lichs­te gese­hen,« flüs­ter­te sie bebend, »was mei­ne Augen jemals schau­en wer­den. Ich weiß nun, daß die Men­schen am schöns­ten sind, wenn sie ein­an­der lieb­ha­ben.«4

(Wer die nach­fol­gen­den Aus­füh­run­gen zu Wal­de­mar Bon­sels und sei­nem Anti­se­mi­tis­mus über­sprin­gen möch­te, gelangt hier direkt zum Fazit.)

Wal­de­mar Bonsels

Bei so viel Lob fragt man sich schon, wer denn die­ses Büch­lein geschrie­ben haben mag. Eine ande­re Ein­lei­tung könn­te lau­ten: Hät­te Wal­de­mar Bon­sels Die Bie­ne Maja und ihre Aben­teu­er nie geschrie­ben und wäre sie zudem nicht ver­filmt wor­den, setz­te man sich heu­te mit ihm nicht wei­ter aus­ein­an­der. Das zeigt vor allem die recht dürf­ti­ge Quel­len­la­ge zu ihm und sei­nem Schaf­fen.5

Jakob Ernst Wal­de­mar Bon­sels wur­de am 21. Febru­ar 1880 in Ahrens­burg gebo­ren. Ahrens­burg ist eine Stadt im heu­ti­gen Schles­wig-Hol­stein. Er stammt aus einem wohl pie­tis­tisch gepräg­ten Eltern­haus. Sei­ne schu­li­sche Aus­bil­dung brach er mit 16 Jah­ren ab und begann eine Kauf­manns­aus­bil­dung in Bie­le­feld. Er kam dann viel her­um: Eng­land, Tri­est, Ägyp­ten, Tür­kei, Indi­en. Zurück in Deutsch­land grün­de­te er 1904 sei­nen eige­nen Ver­lag, den er 1912 jedoch verließ.

In jenen Jah­ren ver­öf­fent­lich­te er bereits eini­ge Wer­ke, dar­un­ter auch Dich­tung. Zum Bei­spiel: Ave vita mori­tu­ri te salu­tant (1906), Mare. Die Jugend eines Mäd­chens (1907), Kyrie elei­son (1908), Blut (1909) Don Juans Tod (1910) u. a.6

Eif­ri­ger Patriot

Im I. Welt­krieg war Bon­sels Kriegs­be­richt­erstat­ter. Die­se Zeit soll­te sich für ihn zudem (hin­sicht­lich der Lite­ra­tur) als recht frucht­bar und erfolg­reich dar­stel­len, wie Harald Weiß her­aus­ge­ar­bei­tet hat.7 Dabei ver­öf­fent­lich­te er in den Jah­ren 1914–1918 nicht nur sie­ben Erst­aus­ga­ben, son­dern es wur­den auch eini­ge frü­he­re Wer­ke mehr­fach neu auf­ge­legt – mit der Bie­ne Maja als Spit­zen­rei­ter.8 Bon­sels gehör­te zu einer gro­ßen Grup­pe von Befür­wor­tern des Krie­ges. Bereits im ers­ten Satz in Das jun­ge Deutsch­land und der gro­ße Krieg (1914) sagt er es in aller Deutlichkeit:

End­lich! Und noch ein­mal: End­lich! Der gro­ße Krieg, der Deutsch­lands Heil und Zukunft bedeu­tet, ist in der gan­zen ele­men­ta­ren Gewalt aus­ge­bro­chen, die allen betei­lig­ten Kräf­ten ent­spricht.9

Bon­sels war Patri­ot. Er glaub­te an die Sache, er glaub­te an sein Land, er glaub­te an sei­nen Kaiser.

Daß wir sie­gen wer­den ist gewiß. Ob es 1914, 1915 oder nach Jah­ren sein wird, ist viel­leicht uns Heu­ti­gen wich­tig, schmerz­lich oder beglü­ckend, groß gese­hen ist es nicht wich­tig. Was viel­leicht wir zu voll­brin­gen nicht beru­fen sind, wer­den unse­re Söh­ne leis­ten. Die Zeit der Deut­schen in der Geschich­te der Welt ist gekom­men.10

Die Sie­ges­si­cher­heit und die Kriegs­freu­de scheint in sei­nen Wer­ken aus der Zeit nicht zu ver­flie­gen. Das The­ma und Bild des Krie­ges behält den freu­di­gen Ton und der Tod der Sol­da­ten wird ver­klärt und ver­herr­licht.11 Wie er letzt­lich den Kriegs­ver­lust und die Abdan­kung des Kai­sers und des­sen Flucht ins Exil auf­ge­nom­men haben mag, wird viel­leicht irgend­wann die Auf­ar­bei­tung sei­nes Nach­las­ses zei­gen. Viel­leicht aber auch nicht.

Frag­wür­di­ge Gestalt

Sei­ne lite­ra­ri­sche Schaf­fens­kraft hält sich aber auch nach dem Krieg. Bis zur Macht­er­grei­fung der Natio­nal­so­zia­lis­ten 1933 ver­öf­fent­lich­te er min­des­tens neun eigen­stän­di­ge Wer­ke. An drei wei­te­ren Wer­ken wirk­te er als Her­aus­ge­ber mit. Dar­un­ter fin­det sich auch – viel­leicht inter­es­sant für mei­ne Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen aus der Ara­bi­stik – Gus­tav Weils Über­set­zung aus dem Ara­bi­schen von Tau­send und eine Nacht.12 Zudem erschei­nen immer wie­der Arti­kel von ihm in Zei­tun­gen. Er hielt auch Ein­drü­cke fest aus Ägyp­ten oder aus Bra­si­li­en, wohin er 1925 zu einer Expe­di­ti­on für einen Doku­men­tar­film reiste.

Zu Beginn des Natio­nal­so­zia­lis­mus hat­te es Bon­sels jedoch nicht sofort leicht. Er schien eine frag­wür­di­ge Gestalt in den Augen der füh­ren­den Nazis gewe­sen zu sein. Sei­ne Bücher wur­den sogar bei der Bücher­ver­bren­nung 1933 ins Feu­er gewor­fen. In einem Zei­tungs­ar­ti­kel jedoch, der im Jahr 1933 mehr­fach in ver­schie­de­nen Zei­tun­gen gedruckt wur­de, schreibt er aus Capri über die »Bücher-Auto­da­fés der deut­schen Stu­den­ten­schaf­ten« und sagt, dass er zu Pro­test auf­ge­for­dert wur­de, er aber nicht der­glei­chen tun wer­de.13 Denn er sehe dar­in eine Pro­kla­ma­ti­on, »das Ech­te, Wah­re und Erha­be­ne hoch zu stel­len und das Nich­ti­ge und Schäd­li­che in der Lite­ra­tur zu ver­dam­men.«14 Er fin­de den »Vor­stoß der Stu­den­ten­schaft, sich ein­mal ernst­lich mit der schö­nen Lite­ra­tur aus­ein­an­der­zu­set­zen, etwas zu stür­misch, aber von Nut­zen.«15

1935 schaff­te er es mit sei­nen Wer­ken Eros und die Evan­ge­li­en, Men­schen­we­ge, Wart­a­lun, Tage der Kind­heit, Nacht­wa­che und Blut auf die Lis­te des schäd­li­chen und uner­wünsch­ten Schrift­tums.16 Als Begrün­dung wird ange­ge­ben, dass sie »dem Geist der heu­ti­gen Zeit nicht mehr ent­spre­chen.«17 Aus­ge­nom­men waren Bie­ne Maja, Him­mels­volk und Indi­en­fahrt.18 Hin­ge­gen taucht Bon­sels in der über­ar­bei­te­ten Fas­sung die­ser Lis­te nicht mehr auf.19

Bon­sels – ein Antisemit

Bon­sels war Anti­se­mit. Das steht außer Fra­ge. Vie­le Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen aus der (ger­ma­nis­ti­schen) Lite­ra­tur­wis­sen­schaft haben sich bereits aus­gie­big damit beschäf­tigt, sodass ich hier das Rad nicht neu erfin­den muss.

Den­noch woll­te ich mich mit dem Autor befas­sen und nicht nur die spär­li­che Sekun­där­li­te­ra­tur rezi­pie­ren. Dabei bin ich auf die For­schungs­bi­blio­thek der Mona­cen­sia gesto­ßen, die in ihrem digi­ta­len Archiv auch den Nach­lass von Wal­de­mar Bon­sels zur Ver­fü­gung stellt.

Wahr­schein­lich um 1935 wur­de er mit­hil­fe sei­nes Freun­des Hanns Johst in die Reichs­schrift­tums­kam­mer auf­ge­nom­men, was ihm sei­ne wei­te­re Tätig­keit als Schrift­stel­ler ermög­lich­te. 1939 erhielt er sogar einen Brief von der Par­tei­amt­li­chen Prü­fungs­kom­mis­si­on zum Schut­ze des NS.-Schrifttums bezüg­lich einer Auf­nah­me in die 2. Auf­la­ge des frü­he­ren ›Deut­schen Füh­rer­le­xi­kons‹, das als »amt­li­ches Nach­schla­ge­werk zuver­läs­si­ge Bio­gra­phien der füh­ren­den Per­sön­lich­kei­ten der Par­tei, der Wehr­macht, des Staa­tes, der Kul­tur und der Wirt­schaft ent­hal­ten« soll.20

Gewiss hat er sich sei­nen Platz in der Kam­mer und im Lexi­kon nicht nur durch sei­ne Bel­le­tris­tik ver­dient. Anti­se­mi­ti­sche Äuße­run­gen und Ansich­ten ver­trat Bon­sels in Auf­sät­zen wie Begrün­dun­gen. Ein Bei­trag zur euro­päi­schen Juden­fra­ge21 oder Mei­ne Ein­stel­lung zum Juden­tum.22 Aber auch Zei­tun­gen druck­ten sein Gedan­ken­gut. Oft­mals fin­det sich in den Arti­keln der­sel­be Text mit ande­rem Titel wie Das jüdi­sche Pro­blem,23 Kla­re Gren­zen,24 Deutsch­tum und Juden­tum. Die Befrei­ung des deut­schen Gemüts – Um den Durch­bruch neu­er Kräf­te,25 oder Begrün­dun­gen.26

In sei­ner Betrach­tung über das Buch Dosi­tos spricht er vom »ger­ma­ni­schen See­len­be­reich« und behaup­tet, dass »die­se Welt der Geis­tes- und Kunst­wer­ke nicht einen Schat­ten semi­ti­schen Ein­flus­ses« auf­wei­se.27 Zudem meint er, dass »über­all dort, wie die alten Dog­men der Kir­che wie­der Gül­tig­keit gewin­nen soll­ten, mit ihnen auch erneut die heim­li­che Macht des Juden­tums« wach­se.28

Erfolg­lo­se Nachkriegszeit

Die Fra­ge ist erlaubt, ob Bon­sels sei­ne anti­se­mi­ti­schen Äuße­run­gen ledig­lich tätig­te, um sich der natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Herr­schaft anzu­bie­dern und wei­ter­hin als Schrift­stel­ler tätig sein zu kön­nen. Sei­ne natio­na­le Gesin­nung und sein Hang zu pseu­do-theo­lo­gi­schem Geschwätz bie­ten aller­dings einen frucht­ba­ren Nähr­bo­den für die natio­nal­so­zia­lis­ti­sche und anti­se­mi­ti­sche Ideologie.

Doch ist es völ­lig uner­heb­lich, ob er über­zeug­ter Anti­se­mit war oder ledig­lich ein Mit­läu­fer. Sart­re hat es schon tref­fend aus­ge­drückt: »Gewiß for­dern nicht alle Fein­de des Juden laut­hals sei­nen Tod, die Maß­nah­men jedoch, die sie vor­schla­gen und die alle auf sei­ne Ernied­ri­gung, sei­ne Demü­ti­gung, sei­ne Ver­ban­nung abzie­len, sind ein Ersatz für den Mord, den sie im Sinn haben: es sind sym­bo­li­sche Mor­de.«29

Nach dem Zwei­ten Welt­krieg konn­te Bon­sels jeden­falls nicht mehr an sei­ne frü­he­ren Erfol­ge anknüp­fen. Er hat­te zeit­wei­lig sogar ein Publi­ka­ti­ons­ver­bot.30 Am 31. Juli 1952 starb er dann in Ambach am Starn­ber­ger See.

Geni­us vs. Ethos

Das Pro­blem ist nicht neu. Die Fra­ge, wie damit umzu­ge­hen sei, wenn eine schöp­fen­de Kraft eine unmensch­li­che Gesin­nung hat, wur­de mehr­fach dis­ku­tiert. Namen aus der Kunst, Lite­ra­tur, Musik und Phi­lo­so­phie gibt es zuhauf: Imma­nu­el Kant, Johann Gott­lieb Fich­te, Georg Wil­helm Fried­rich Hegel, Gus­tav Frey­tag, Richard Wag­ner, Mar­tin Heidegger …

Sind Wer­ke zwangs­läu­fig schlecht, die ein Mensch her­vor­ge­bracht hat, des­sen Gesin­nung (und viel­leicht sogar Taten) wir heu­te als unmensch­lich, unmo­ra­lisch oder gar als Ver­bre­chen bezeich­nen? Die öster­rei­chi­sche Lite­ra­tur­kri­ti­ke­rin Sig­rid Löff­ler sag­te ein­mal am 16. Juni 1989 im Lite­ra­ri­schen Quartett:

Wenn wir uns heu­te mit der lite­ra­ri­schen Bear­bei­tung des Drit­ten Rei­ches aus­ein­an­der set­zen, glau­be ich, müs­sen wir auf­pas­sen, wor­über wir reden. Beur­tei­len wir hier die Gesin­nung, die uns gefällt oder nicht gefällt? Oder beur­tei­len wir die lite­ra­ri­sche Qua­li­tät? Bezie­hungs­wei­se was hat eigent­lich die Qua­li­tät, die lite­ra­ri­sche Qua­li­tät so eines Buches mit der Gesin­nung zu tun? Ich glau­be, da muss man sehr auf­pas­sen. Ich glau­be, dass zunächst mal die Moral eines Buches oder die Gesin­nung nicht unbe­dingt schon eine Qua­li­tät eines Buches ist.31

Und wie steht’s mit Maja? Blieb sie von Bon­sels’Anti­se­mi­tis­mus ver­schont? Lässt sich trotz sei­ner Gesin­nung eine lite­ra­ri­sche Qua­li­tät im Buch entdecken?

Muss denn ein Feind immer böse sein?

Ich glau­be, man kann Die Bie­ne Maja in dop­pel­ter Wei­se lesen. Ober­fläch­lich betrach­tet (als qua­si text­im­ma­nen­te Inter­pre­ta­ti­on), haut Maja ab und sam­melt in der wei­ten Welt Erfah­run­gen. Sie steht sinn­bild­lich für die Jugend, die doch eben­so den Drang ver­spürt, aus­zu­bre­chen, in die wei­te Welt zu zie­hen, sich zu fin­den, Alt­her­ge­brach­tes anders machen zu wol­len, ein Zei­chen zu set­zen, weil sie (viel­leicht) den Glau­ben an die Mensch­heit noch nicht ver­lo­ren hat.

Dabei mag es fast fort­schritt­lich erschei­nen, dass Bon­sels sich hier­für eine Bie­ne – nicht etwa eine Droh­ne – aus­ge­sucht hat. Fort­schritt­lich nicht nur, weil er sich das Bie­nen­volk aus­ge­wählt hat, das als Matri­ar­chat sowie­so weib­lich geführt wird, son­dern weil er es einem Mäd­chen ermög­licht hat, über sich hin­aus­zu­wach­sen. Ein Mäd­chen aus der Men­schen­welt des frü­hen zwan­zigs­ten Jahr­hun­derts hät­te sich wohl auf die­se Wei­se nicht selbst fin­den können.

Gleich­zei­tig sticht noch ein Aspekt ins Auge. Man­che wür­den es als kind­li­che Blau­äu­gig­keit oder Gut­gläu­big­keit bezeich­nen. Obwohl aus ihr auch ab und an der vor­lau­te Nase­weis spricht, begeg­net sie aber jedem Wesen bei­na­he freund­schaft­lich – oder doch zumin­dest stets respekt­voll. Sogar der Libel­le Schnuck, die vor ihren Augen den Käfer Hans Chris­toph ver­speist, oder der Kreuz­pin­ne Thek­la, die sie täuscht und dann fres­sen will, und sogar dem Hor­nis­sen­wäch­ter. Maja scheint kei­nen Frem­den­hass, kei­nen Ras­sis­mus zu ken­nen. Sie weiß zwar, was Feind­schaft bedeu­tet, aber »muß denn ein Feind immer böse sein?«32

Ver­kör­pe­rung des Nationalen

Liest man den Text hin­ge­gen geis­tes­ge­schicht­lich, wir­ken die oben genann­ten Deu­tun­gen recht arg­los. Ste­fan Her­mes hat dar­über eine inter­es­san­te, kon­zi­se Dar­stel­lung geschrie­ben.33 Er sieht Maja trotz ihres Namens als ein geschlechts­lo­ses sowie ase­xu­el­les Wesen, »des­sen Agie­ren vor­nehm­lich der para­bel­ar­ti­gen Bestä­ti­gung völ­ki­scher Prin­zi­pi­en dient.«34

Maja ver­las­se ihren Bie­nen­stock nicht, weil sie jugend­li­ches Fern­weh hat, son­dern »ein gro­ßer Teil der jün­ge­ren Bie­nen hat­te das Reich ver­las­sen«,35 denn »das Volk hat­te sich so stark ver­mehrt, daß die Stadt nicht mehr Raum genug für alle Bewoh­ner bot und daß unmög­lich so viel Honig­vor­rä­te ein­ge­bracht wer­den konn­ten, daß alle über den Win­ter ihr Aus­kom­men hat­ten.«36

Oder, in der Dik­ti­on des deut­schen Impe­ria­lis­mus um 1900: Der ange­stamm­te ›Lebens­raum‹ ist längst all­zu knapp gewor­den, und somit mutet es unab­ding­bar an, sich nach neu­en Ent­fal­tungs­mög­lich­kei­ten umzu­se­hen (vgl. dazu Wal­ken­horst 2007: 166–249). 37

Die Lek­tio­nen, die Maja lernt, dass es ums Fres­sen und Gefres­sen­wer­den geht, zei­gen, dass »allein die unver­brüch­li­che Soli­da­ri­tät mit dem eige­nen Volk eine aus­sichts­rei­che Posi­ti­on im erbar­mungs­lo­sen ›Kampf ums Dasein‹ garan­tiert.«38

Dass der mili­tan­te Chau­vi­nis­mus von Bon­sels’ Roman in den Schluss­se­quen­zen beson­ders dras­tisch zuta­ge tritt, hat unlängst Hanu­schek (2011a) mit Recht betont. So besitzt die mar­tia­li­sche Anspra­che, mit der die Bie­nen­kö­ni­gin den Hass ihrer Trup­pen auf die Hor­nis­sen schürt (vgl. BM 112 u. 115), eine frap­pie­ren­de Ähn­lich­keit mit jener ›Hun­nen­re­de‹, die Wil­helm II. am 27. Juli 1900 in Bre­mer­ha­ven hielt, um das zur Nie­der­schla­gung des ›Boxer­auf­stands‹ gen Chi­na aus­rü­cken­de Expe­di­ti­ons­korps auf sei­ne Mis­si­on ein­zu­schwö­ren (vgl. dazu Baum­gart­ner 2011 u. Hanu­schek 2011a). 39

Volk der Bienen

Her­mes hat es schon gut beob­ach­tet, dass sich Maja, trotz ihres Fort­gangs, immer als Ange­hö­ri­ge des Vol­kes der Bie­nen selbst ver­or­tet.40 Dabei lässt sich eine Ent­wick­lung die­ser Selbst­ver­or­tung erken­nen. Anfangs bezeich­net sich Maja »vom Volk der Bie­nen«, im Ver­lauf geht sie auch in den Verteidigungsmodus.

»Die Libel­len leben in bes­tem Ein­ver­neh­men mit dem Vol­ke der Bienen.«
»Sie tun auch gut dar­an«, sag­te Maja rasch. 41

Das ist doch dasselbe

Oder in der Begeg­nung mit dem Gras­hüp­fer, der sie tat­säch­lich für eine Wes­pe hält:

»Ja, natür­lich. Fal­len Sie nur nicht von Ihrem Podi­um, Mam­sell. Sie sind eine Wes­pe, nicht wahr?«
Etwas Schlim­me­res hät­te nun der klei­nen Maja in aller Welt nicht begeg­nen kön­nen. »Schock­schwe­re­not!« rief sie. 42

»Ich bin in die­ser Gegend fremd«, sag­te sie freund­lich, »sonst wür­de ich Sie sicher ken­nen, aber ich bit­te Sie, sich zu mer­ken, daß ich zur Fami­lie der Bie­nen gehö­re und daß ich dur­aus kei­ne Wes­pe bin.«
»Ach Gott«, sag­te der Gras­hüp­fer, »das ist doch dasselbe.«
Maja konn­te vor Auf­re­gung kaum sprechen.
»Sie sind unge­bil­det«, stieß sie end­lich her­vor. »Schaun Sie sich doch ein­mal eine Wes­pe an.«
»Was könn­te mich wohl dazu ver­an­las­sen?« ant­wor­te­te der Grü­ne. »Wohin wür­de es füh­ren, wenn ich mir Unter­schie­de merk­te, die nur in der Ein­bil­dung exis­tie­ren? Sie flie­gen in der Luft her­um, ste­chen alles, was in Ihre Nähe kommt, und kön­nen nicht sprin­gen. Genau­so ist es mit den Wes­pen. Wo liegt also der Unter­schied? Hopp­la!« Und fort war er.43

Eine benei­dens­wer­te Abstammung

Als Maja auf die Mücke trifft, wird eine gewis­se Zer­knirscht­heit sicht­bar, dass sie ihr König­reich ver­las­sen hat:

»Vom Men­schen weiß ich aller­dings noch nicht sehr viel«, sag­te Maja kleinlaut.
»Aber Sie geben sich doch von allen Insek­ten am meis­ten mit den Men­schen ab, Sie las­sen sich am wei­tes­ten mit ihnen ein, das ist doch bekannt.«
»Ich habe das König­reich ver­las­sen«, gestand Maja schüch­tern. »Es gefiel mir nicht, ich woll­te die Welt kennenlernen.«
»I da, sieh einer an«, sag­te die Mücke und trat einen Schritt näher. »Wie bekommt Ihnen denn Ihr Umher­trei­ben? Ich muß sagen, daß es mir gefällt, Sie so unab­hän­gig zu sehen. Ich für mei­nen Teil wür­de mich nie­mals ent­schlie­ßen, den Men­schen zu die­nen.«44

Aber dann wird nicht nur ihr Heim­weh deut­lich, son­dern auch ihr Patriotismus:

»Sie die­nen auch uns«, sag­te Maja, die es nicht ertra­gen konn­te, daß man ihr Volk herabsetzte.
»Mag sein«, ant­wor­te­te die Mücke, »zu wel­chem Volk gehö­ren Sie?«
»Ich stam­me vom Volk der Bie­nen im Schloß­park. Die regie­ren­de Köni­gin ist Hele­ne die Achte.«
»So, so«, mach­te die Mücke und ver­beug­te sich, »das ist eine benei­dens­wer­te Abstam­mung. Alle Ach­tung. Sie hat­ten kürz­lich Revo­lu­ti­on, nicht wahr? Ich hör­te das durch die Kund­schaf­ter des Schwarms, der aus­ge­bro­chen war. Habe ich recht?«
»Ja«, sag­te Maja stolz. Es erfüll­te sie mit Genug­tu­ung und Freu­de, daß die Ihren so hohes Anse­hen genos­sen und weit bekannt waren. Tief im Her­zen wach­te wie­der das Heim­weh nach ihrem Vol­ke auf, sie wünsch­te sich, etwas Gro­ßes und Gutes für ihre Köni­gin und zum Woh­le ihres Staa­tes tun zu kön­nen.45

Vaga­bun­die­ren­de Wanderin

Maja war aber nun nicht braun. Ob Bon­sels zu der Zeit (1912) bereits eine anti­se­mi­ti­sche Ideo­lo­gie ange­nom­men hat­te, ist nicht ganz gewiss. Gleich­wohl war Maja ein Pro­dukt Bon­sels’ Deutsch­tü­me­lei aus der dama­li­gen Zeit. Irgend­wie bleibt Maja auch unschul­dig. Sie ver­schläft die ent­schei­den­de Schlacht. Ihr wird das Schick­sal erspart, töten zu müs­sen – selbst für das ›Vater­land‹.

In gewis­ser Wei­se lässt sich Die Bie­ne Maja auch in Bon­sels’ frü­he ›Vaga­bun­den­li­te­ra­tur‹ ein­rei­hen. Dabei bricht der Vaga­bund oder Vagant46 aus, reist her­um, gibt sich einer jugend­li­chen, bei­na­he liber­ti­nis­ti­schen Unbe­küm­mert­heit hin und emp­fin­det einen unge­bun­de­nen Lebens­ge­nuss. Er ist stets in Natur­nä­he. Aller­dings nennt der Vaga­bund den Grund sei­nes Fort­gangs nicht. Trotz der Unbe­küm­mert­heit – oder viel­leicht gera­de des­we­gen – kenn­zeich­nen ihn Hei­mat- und Ziellosigkeit.

Maja ent­spricht aber kei­ner rei­nen Vaga­bundin. Zwar wird sie von ihrem jugend­li­chen Drang geführt, doch scheint mir die Ähn­lich­keit zum Wan­de­rer auch bemer­kens­wert, für des­sen Auf­bruch oft­mals die Natur die anzie­hen­de Kraft besitzt. Und so sind auch die Ein­drü­cke von der Natur auf Majas ers­tem Flug die Anzie­hungs­kräf­te, wes­halb sie vom Bie­nen­stock fort­geht. Im Gegen­satz zum Vaga­bun­den hat der Wan­de­rer aber die Mög­lich­keit zur Rück­kehr in die ›Hei­mat‹, denn das Hei­mat­ge­fühl geht ihm nicht abhan­den. So fin­det Maja Zuflucht auf ihrer Rei­se und ihren Aben­teu­ern in der Natur, aber auch in der Ein­sam­keit und Stil­le – im ste­ten Bewusst­sein, dass ihre Hei­mat der Bie­nen­stock ist. Die­ses Hei­mat­ge­fühl wird im Ver­lauf immer stär­ker. Und sie kehrt als Ret­te­rin mit etli­chen Erfah­run­gen zurück.

Aber auch die Vaga­bun­den- und Wan­de­rerli­te­ra­tur steht im engen Zusam­men­hang mit einer natio­na­len Tra­di­ti­on. Frie­de­mann Spi­cker hat es in einem Kapi­tel zur deut­schen Wan­der­ideo­lo­gie recht inter­es­sant herausgearbeitet:

Gegen den fran­zö­si­schen Lüst­ling und den eng­li­schen Krä­mer steht der tie­fe, eigent­li­che, gesun­de, wert- und see­len­vol­le Deut­sche, eben der Wan­de­rer. Sein Wesen bie­tet den bes­ten Schutz gegen das Unwe­sen der Zeit, gegen Reiz­über­flu­tung, Unkeusch­heit und undeut­sche Schlaff­heit, gegen die Impli­ka­tio­nen von Zivi­li­sa­ti­on und Mate­ria­lis­mus.47

Er bringt zahl­lo­se Bei­spie­le, wie das Motiv des Wan­derns ver­ein­nahmt wur­de und spä­ter auch miss­braucht wurde:

Auf die­sem Boden gedei­hen Wan­de­rer- und See­len­wan­der­er­ly­rik und ‑pro­sa, die­se ›Kunst‹ ist die­ser ›Bewe­gung‹ naht­los ein- und unter­zu­ord­nen; das Tie­fe und Gesun­de, Trieb, Wesen, See­le und nicht zuletzt die Pseu­do-Reli­gi­on sind noch gut in schlech­ter Erin­ne­rung. Vor dem Hin­ter­grund der an Zahl rei­chen Wan­der­li­te­ra­tur wird das Ideo­lo­gi­sche und emi­nent Poli­ti­sche einer schein­bar emi­nent unpo­li­ti­schen Lyrik voll­ends offen­bar.48

Ein Mit­tel­weg

So gilt es viel­leicht einen Mit­tel­weg zu fin­den. Und genau das macht doch Lite­ra­tur so span­nend und reizvoll.

Ich kann also die­sen Text in dem Bewusst­sein lesen, dass er aus einer wil­hel­mi­ni­schen Zeit stammt und dass natio­na­le oder gar impe­ria­le Selbst­über­schät­zung mit­schwingt, die Deutsch­land als Welt­macht eta­blie­ren möch­te. Und ich kann mich dann bewusst dafür ent­schei­den, die vie­len rei­zen­den Stel­len des Buches in den Vor­der­grund zu holen, wobei ich mei­ne his­to­risch-kri­ti­sche Les­art beibehalte.

Dann sind die Hor­nis­sen eben für mich nicht das Bri­tish Empire. Die Wes­pen sind auch nicht Frank­reich. Und die Bie­nen sind erst recht nicht Deutsch­land. Dann schei­tert die Bezie­hung zwi­schen dem Mist­kä­fer Kurt, der sich für einen Rosen­kä­fer aus­gibt, und der Gril­le Iffi nicht »gemäß der völ­ki­schen Per­spek­ti­ve der Nar­ra­ti­on«49 – also weil er ein Mist­kä­fer ist und sie eine Gril­le –, son­dern weil Kurt geschwin­delt hat, Iffi es ihm übel­nimmt und eigent­lich sowie­so etwas Bes­se­res will. Somit hole ich die Geschich­te in mei­ne Zeit, wo Beruf und Sta­tus auch eine wesent­li­che Rol­le spielen.

Lei­se Wehmut

Mich per­sön­lich nervt den­noch die Ver­herr­li­chung und Ver­klä­rung der Bie­nen­kö­ni­gin und die voll­kom­me­ne Erge­ben­heit. Natür­lich ist mir bewusst, wel­che Bedeu­tung der Hof­staat und die Köni­gin für eine Honig­bie­ne hat – sie wäre doch allein und auf sich gestellt gar nicht lebens­fä­hig. Die Bie­ne Maja ist eben auch nur ein Kind ihrer Zeit. Und daher schwingt auch der natio­na­le Cha­rak­ter mit. Das kann ich ihr nicht zum Vor­wurf machen.

Ob sich das Buch aller­dings heu­te noch als Kin­der­buch eig­net, dar­an habe ich mei­ne Zwei­fel. Die Spra­che wirkt doch schon recht abge­lebt; poe­tisch – ja! –, aber angestaubt.

Zu guter Letzt: Gegen­stand die­ser Rezen­si­on war Die Bie­ne Maja und ihre Aben­teu­er und nicht (trotz der län­ge­ren Aus­füh­run­gen) der Autor des Wer­kes. Mein Fazit ist daher posi­tiv, denn mir hat das Lesen größ­ten­teils Freu­de berei­tet. Bon­sels ver­stand zwei­fel­los sein Hand­werk. Obwohl ich sei­ne Spra­che für heu­ti­ge Kin­de­roh­ren als ›abge­lebt‹ und ›ange­staubt‹ bezeich­net habe, schät­ze ich ihre Wort­ma­gie den­noch sehr. In gar nicht infan­ti­ler Wei­se beschreibt er die Wun­der der Natur und erzeugt einen schie­ren Stim­mungs­zau­ber. Er war eben ein neu­ro­man­ti­scher Naturmystiker.

Die Auf­ma­chung der Aus­ga­be der DVA fin­de ich sehr anspre­chend. Sie ent­hält zudem rei­zen­de Illus­tra­tio­nen von Wal­traut und Ott­mar Frick.

Und auch wenn ich Werk und Dich­ter getrennt von­ein­an­der betrach­te, so bleibt doch eine Form der lei­sen Weh­mut. Es ist mehr als bedau­er­lich, dass Bon­sels einen fal­schen Weg nahm und einer men­schen­ver­ach­ten­den Ideo­lo­gie folg­te. Umso schmerz­li­cher wird es ange­sichts der heu­ti­gen Zeit, in der sich wie­der Luft­num­mern auf ihrem kläg­li­chen Höhen­flug in die Untie­fen geis­ti­ger Deka­denz hinabschwurbeln.


Infor­ma­tio­nen zum Buch und zum Verlag

Ver­lag: Deut­sche Verlags-Anstalt
Hard­co­ver, Papp­band, 176 Sei­ten, 20,00 €
ISBN: 978–3‑421–04817‑2

Das Buch wur­de mir freund­li­cher­wei­se vom Blog­ger­por­tal und der Deut­schen Ver­lags-Anstalt zur Ver­fü­gung gestellt. Vie­len Dank!

Infor­ma­tio­nen zum Titelbild

Urhe­ber: © Alex­an­der Weber

  1. Bon­sels, Die Bie­ne Maja, S. 33.
  2. Bon­sels, Die Bie­ne Maja, S. 71f.
  3. Bon­sels, Die Bie­ne Maja, S. 117.
  4. Bon­sels, Die Bie­ne Maja, S. 127.
  5. Eine recht neue Bio­gra­fie erschien im Jahr 2016 im Ver­lag Matthes & Seitz: Viel, Bern­hard. Der Honig­samm­ler. Wal­de­mar Bon­sels, Vater der Bie­ne Maja. Ber­lin: Matthes & Seitz, 2016.
  6. Eine aus­führ­li­che Werk­lis­te fin­det sich auf der Sei­te der Mona­cen­sia https://www.monacensia-digital.de/bonsels/wiki/363583.
  7. Weiß, Harald. Wal­de­mar Bon­sels’ lite­ra­ri­scher Bei­trag zum Ers­ten Welt­krieg. In: Glunz, Clau­dia und Schnei­der, Tho­mas F. (Hg.). Lite­ra­ri­sche Ver­ar­bei­tun­gen des Krie­ges vom 17. bis zum 20. Jahr­hun­dert. Göt­tin­gen: V&R uni­press, 2010, S. 47–60.
  8. Weiß, Bon­sels’ lite­ra­ri­scher Bei­trag, S. 47f.
  9. Bon­sels, Wal­de­mar. Das jun­ge Deutsch­land und der gro­ße Krieg. Aus Anlaß des Brief­wech­sels Romain Rollands mit Ger­hart Haupt­mann über den Krieg und die Kul­tur. 2. Auf­la­ge. Mün­chen, Wien: Ver­lag Wal­ter Schmid­kunz, 1914, S. 5.
  10. Bon­sels, Das jun­ge Deutsch­land, S. 31.
  11. Vgl. dazu Weiß, Bon­sels’ lite­ra­ri­scher Bei­trag, S. 55f.
  12. Weil, Gus­tav. Tau­send und eine Nacht. Ara­bi­sche Erzäh­lun­gen, zum ers­ten Male aus dem Urtext über­setzt. Her­aus­ge­gebn von Wal­de­mar Bon­sels und Paul Weig­lin. 2 Bän­de. Ber­lin: Neu­feld & Heni­us, 1928.
  13. https://www.monacensia-digital.de/bonsels/content/pageview/258513
  14. Ebd.
  15. Ebd.
  16. https://sammlungen.ulb.uni-muenster.de/hd/periodical/pageview/2539709
  17. https://www.monacensia-digital.de/bonsels/content/pageview/247349
  18. https://www.monacensia-digital.de/bonsels/content/pageview/247350
  19. https://sammlungen.ulb.uni-muenster.de/hd/periodical/pageview/2539912
  20. https://www.monacensia-digital.de/bonsels/content/pageview/247437
  21. https://www.monacensia-digital.de/bonsels/content/titleinfo/217856
  22. https://www.monacensia-digital.de/bonsels/content/titleinfo/217858
  23. https://www.monacensia-digital.de/bonsels/content/pageview/258507
  24. https://www.monacensia-digital.de/bonsels/content/pageview/258509
  25. https://www.monacensia-digital.de/bonsels/content/pageview/258665
  26. https://www.monacensia-digital.de/bonsels/content/pageview/258562

    https://www.monacensia-digital.de/bonsels/content/pageview/258564
    https://www.monacensia-digital.de/bonsels/content/pageview/258511
    https://www.monacensia-digital.de/bonsels/content/pageview/258515
    https://www.monacensia-digital.de/bonsels/content/pageview/258680

  27. https://www.monacensia-digital.de/bonsels/content/pageview/235058
  28. https://www.monacensia-digital.de/bonsels/content/pageview/235059
  29. Sart­re, Jean-Paul. Über­le­gun­gen zur Juden­fra­ge. 4. Auf­la­ge. Rein­bek: Rowohlt, 2020, S. 33.
  30. https://www.monacensia-digital.de/bonsels/content/pageview/180312
  31. Just, Peter; Pfit­zen­mai­er, Pas­cal; Uther, Nico­la (Hg.). Das Lite­ra­ri­sche Quar­tett. Gesamt­aus­ga­be aller 77 Sen­dun­gen von 1988 bis 2001. Bd. 1. Ber­lin: Direct­me­dia, 2006, S. 148.
  32. Bon­sels, Die Bie­ne Maja, S. 145.
  33. Her­mes, Ste­fan. Ris­kan­te Rei­sen. In: Zeit­schrift für inter­kul­tu­rel­le Ger­ma­nis­tik 3, Nr. 1 (1. Janu­ar 2012), S. 77–98. https://doi.org/10.14361/zig.2012.0107.
  34. Her­mes, Ris­kan­te Rei­sen, S. 84.
  35. Bon­sels, Die Bie­ne Maja, S. 12.
  36. Bon­sels, Die Bie­ne Maja, S. 12.
  37. Her­mes, Ris­kan­te Rei­sen, S. 84.
  38. Her­mes, Ris­kan­te Rei­sen, S. 86.
  39. Her­mes, Ris­kan­te Rei­sen, S. 88.
  40. Her­mes, Ris­kan­te Rei­sen, S. 85.
  41. Bon­sels, Die Bie­ne Maja, S. 30.
  42. Bon­sels, Die Bie­ne Maja, S. 55.
  43. Bon­sels, Die Bie­ne Maja, S. 56.
  44. Bon­sels, Die Bie­ne Maja, S. 109.
  45. Bon­sels, Die Bie­ne Maja, S. 109.
  46. Zum Vaga­bun­den und Vagan­ten emp­feh­le ich: Spi­cker, Frie­de­mann. Deut­sche Wanderer‑, Vaga­bun­den und Vagan­ten­ly­rik in den Jah­ren 1910–1933. Wege zum Heil – Stra­ßen der Flucht. Ber­lin: Wal­ter de Gruy­ter, 1976.
  47. Spi­cker, Deut­sche Wanderer‑, Vaga­bun­den und Vagan­ten­ly­rik, S. 282.
  48. Spi­cker, Deut­sche Wanderer‑, Vaga­bun­den und Vagan­ten­ly­rik, S. 283.
  49. Her­mes, Ris­kan­te Rei­sen, S. 86.